So hatte ich mir das nicht vorgestellt…

Zwei Monate sind vergangen. Es gibt vieles zu erzählen. Schon vor Wochen wollte ich den nächsten Beitrag geschrieben haben, idealerweise gleich einige Tage nach der OP. Davon war ich sogar fest überzeugt und hatte Laptop, Maus und Ladekabel zu Hause bereit gelegt, damit mir jemand das Equipment mit ins Krankenhaus bringen kann, sobald es mir etwas besser geht. Leider sollten noch über vier Wochen vergehen bevor es mir ansatzweise „etwas besser“ ging.

Es ging einfach nicht. Zuerst, weil es mir wirklich dreckig ging und dann, als es langsam besser wurde, fehlte mir jegliche Motivation für alles. Jeden Morgen wachte ich auf und dachte: Vielleicht ist heute der Tag, an dem ich wieder energiegeladen aus dem Bett springe. Darauf warte ich allerdings bis heute noch. Eine liebe Freundin gab mir den Hinweis, dass Veit Lindau, der Erfolgscoach bei dem ich das Online-Seminar gemacht habe, auf seiner Plattform Homodea einen neuen Kurs zum Thema Krisenbewältigung anbietet. Diesen achttägigen Kurs habe ich absolviert und eines ist mir klar geworden: Leider wird es sehr wahrscheinlich nicht so sein, dass ich eines Morgens energiegeladen und von der Muse geküsst aufwache, um voller Schwung an mein Leben vor der OP anzuknüpfen. Dafür muss ich etwas tun und zwar zunächst aus dem Quark kommen, flauschige innere Schweinehunde überwinden und meine PS voll auf die Straße bringen.

Der erste Schritt ist getan und ich bin stolz auf mich. Doch nun der Reihe nach. Natürlich möchte ich in diesem Blog detailliert erzählen, wie es mir ergangen ist, wie es einem eben so ergeht, wenn plötzlich ein Lungenflügel weg ist. Wahrscheinlich werde ich das heute nicht ganz schaffen, aber halb so wild, denn aufgrund von Corona haben die meisten von uns ja immerhin viel Zeit. Also mache ich da gleich ein paar Beiträge draus, die Euch zu Hause vielleicht ein wenig ablenken.

Die knapp sechsstündige OP verlief erfolgreich und wieder einmal erwachte ich – yippieh! – diesmal auf der Überwachungsstation. Mir wurde sofort schlecht, ich würgte und es kamen Menschen in blauer Kleidung, spritzten irgendetwas in eine meiner Kanülen und die Übelkeit war vorbei. Aus lauter Dankbarkeit bin ich dann sofort wieder eingeschlafen. Als ich das nächste Mal erwachte, nahm ich etwas mehr von meiner Umgebung wahr. Ich war komplett verkabelt, Strippen, Schnüre und Kanülen überall. Hinter mir piepte und blinkte es und ich hatte eine lästige Sauerstoffbrille unter der Nase hängen. Außerdem gab es einen Knopf in der Nähe meiner Hand, mit dem ich mir die volle Schmerzmitteldröhnung selber verabreichen konnte. Der Traum eines jeden Junkies. Zum Glück hatte ich mein Handy im Bett – mein Kontakt zur Außenwelt. Allerdings erschöpfte mich der Gebrauch des Handys so, dass ich es nur selten benutzen konnte. Auf der Station lagen noch weitere Patienten, abgetrennt durch Schiebeelemente, so dass ich sie zwar hören, aber nicht sehen konnte.

Es war laut, es war nervtötend, es war langweilig. In den Nächten konnte ich nicht schlafen und starrte immer auf die digitale Uhr, die direkt in meinem Blickfeld aufgehängt war und Stunden, Minuten und Sekunden zeigte. Das ist übrigens eine Methode, die ich jedem ambitionierten Folterknecht wärmstens empfehlen kann. Nach einigen Stunden war ich bereit alles zu gestehen, wenn nur diese Uhr abgeschaltet werden könnte.

Mittlerweile war es Sonntag und ich sollte am nächsten Morgen auf die normale Station verlegt werden. Damit ich das auch anständig zu würdigen weiß, wurde die letzte Nacht auf der Überwachungsstation zum Horrortrip. Mal abgesehen von der Uhr und meiner Schlaflosigkeit war die Kanüle, über die mein Puls intravenös gemessen wurde, rausgerutscht und ich bekam stattdessen eine Manschette, die sich stündlich lärmend aufblies und mir den Arm abquetschte. Selbst wenn ich müde gewesen wäre, war an Schlaf nicht zu denken. Zu allem Überfluss ging es der einzigen Patientin, die in dieser Sonntagnacht mit mir auf der Überwachungsstation lag, extrem schlecht. Mein Bett war direkt neben dem Stationszimmer, also rannten alle Pfleger und Ärzte ständig an mir vorbei. Ich hoffte sehr für die ältere Dame, dass es ihr unter dem eilig aufgebauten Sauerstoffzelt besser ging. Sie wurde am nächsten Morgen auf die Intensivstation verlegt und ich war allein. Der Pfleger der Frühschicht räumte den ganzen Raum auf, wischte hier und da, füllte Material nach und wirkte irgendwie, als müsse er Zeit totschlagen. Gemeinsam warteten wir auf den Transport, der mich endlich auf die normale Station brachte. Was für eine herrliche Ruhe!

Für diesen wahrscheinlich mindestens vierzehntägigen Krankenhausaufenthalt habe ich mir als armselige Kassenpatientin den Luxus der Privatstation gegen Zuzahlung gegönnt. Die Gesamtkosten für diese Extravaganz entsprechen einem Urlaub in einem guten Hotel obwohl ich sogar „nur“ das Zweibettzimmer gewählt hatte. Man muss die Kirche ja auch irgendwie im Dorf lassen. Die Räumlichkeiten waren sehr schön gestaltet, ich fühlte mich tatsächlich ein wenig an eine Hoteleinrichtung erinnert. Die Betten waren so gestellt, dass jeder Patient genug Privatsphäre hatte. Mein Bett stand in einer Nische gegenüber dem Panoramafenster. Von dort aus beobachtete ich hauptsächlich den Himmel und die Bäume im Park. Allerdings waren die Bäume kahl und der Himmel selten blau. Meistens regnete es und ein heftiger Sturm fegte über das Land. Doch zumindest diese erste Nacht auf der normalen Station war gut und ich konnte schlafen. Ich hatte mein Schmerzmitteldrückgerät zusammen mit den anderen Schläuchen auf der Überwachungsstation zurückgelassen und nun wurden die Schmerzen von Tag zu Tag heftiger. Die Schmerztabletten konnten das nie so ganz kompensieren. Daher wurden die Nächte dann schmerzbedingt wieder schlechter.

Offenbar hatte ich viel Blut verloren, die Blutwerte waren im Keller, der Eisenwert unterirdisch. Die Stationsärztin meinte, mit so einem Wert könnte sie nicht mehr aufrecht stehen. Ich stand, allerdings wackelig. Die für mich zuständige Physiotherapeutin – sehr freundlich, aber komplett unnachgiebig – zwang mich dazu. Allerdings fühlte ich mich, als hätte man mir Ketten mit Bleikugeln an die Beine gehängt. Trotzdem machte ich bescheidene Fortschritte und konnte nach weiteren zwei Tagen sogar alleine duschen. Danach war ich schweißgebadet und hätte eigentlich sofort wieder duschen müssen. Die Blutwerte wurden nicht so schnell besser und nach einigen Diskussionen unter den Ärzten sah man zunächst von einer Fremdblutinfusion ab und plante stattdessen eine Eiseninfusion, um meinem Körper die nötigen Eisenvorräte zu geben, damit er das fehlende Blut selber nachbilden konnte. Bei jüngeren Menschen sind die Ärzte bezüglich Fremdblut immer etwas zurückhaltend. Die Eiseninfusion war ein vernünftiger Kompromiss. So zumindest in der Theorie. In der Praxis katapultierte mich die fast achtstündige Infusion pechschwarzer Substanz direkt zurück auf die Überwachungsstation. Allerdings diesmal ohne Sicht auf die Uhr und völlig allein.

Was war passiert? Nachdem die Infusion abgebaut worden war, fühlte ich mich zunächst komplett verspannt, das war kein Wunder nach der Tortur. Dann setzte plötzlich Atemnot ein, ein unkontrollierbares Zittern beider Arme und Juckreiz am ganzen Körper. Alles abgerundet von Übelkeit und Angstzuständen. Inzwischen war es später Abend. Der Pfleger der Nachtschicht gab sich alle Mühe. Er machte ein EKG am Bett ohne besonderen Befund. Doch mein Zustand änderte sich nicht. Am Ende ordnete der hinzugerufene Arzt zur Sicherheit die Überwachungsstation für die Nacht an. Ich bekam ein starkes Beruhigungsmittel und konnte zumindest einige Stunden schlafen. Morgens fühlte ich mich zwar etwas besser, aber das beängstigende Zittern war noch da und es sollte weitere sechs Wochen bleiben.

Wie es dann mit mir weiterging, schreibe ich in meinem nächsten Beitrag. Ich wünsche Euch einen schönen Abend und bleibt gesund – wo immer Ihr seid!

Veröffentlicht von bluemchenfee

Im Oktober 2011 erhielt ich die Diagnose metastasierter Darmkrebs. Zu diesem Zeitpunkt war ich 38 Jahre alt und hatte zwei kleine Kinder im Alter von 3 und 6 Jahren. 2016 kam die Diagnose metastasierter Brustkrebs hinzu. Ich lebe in einer Kleinstadt im Hamburger Umland, bin mittlerweile geschieden, aber glücklich neu vergeben und alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern. Mein Alltagschaos zwischen Patchwork, Hundeerziehung und Krebserkrankung wird seit einem guten Jahr durch mein kleines Unternehmen Blümchenfeedesign abgerundet. Eigentlich aus der Not heraus entstanden, habe ich mir damit den Traum einer Selbständigkeit im kreativen Bereich erfüllt. Meine Produkte findet Ihr unter bluemchenfeedesign.etsy.com oder auf Instagram unter bluemchenfeedesign. In diesem Blog schreibe ich über meine vielfältigen Erfahrungen mit der Erkrankung, der Heilung und den Herausforderungen, aber auch über die lustigen und schönen Seiten des Alltags und die Chancen, die sich selbst in so einer Situation bieten. Damit möchte ich anderen Betroffenen, Angehörigen und Interessierten Mut machen. Es gibt immer einen Weg und am Ende wird alles gut!

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