Mitternachtsblau

Nun sind schon wieder fast vier Wochen vergangen und erst seit Kurzem weiß ich definitiv, was jetzt in meinem Darm los ist.

Den Termin für die Darmspiegelung bekam ich zügig. Er war vor zwei Wochen. Ich verzichte immer auf die Kurznarkose, damit ich am Bildschirm alles mitverfolgen kann. Das ist spannend. Mein Internist konnte mir à toc schon einmal sagen, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen neuen Darmkrebs habe. Allerdings gab es zwei Bereiche, die verengt sind und sich fest anfühlten. Die Schleimhaut ist aber intakt, keine Wucherungen oder ähnliches, einfach nur eine Verengung. Der Internist meinte, dies könnten eventuell Metastasen vom Brustkrebs im Darm sein. Er hätte so etwas schon einmal gesehen. Das würde zu meinem Brustkrebs auch passen, denn er verursacht ja nicht die klassischen Knoten, sondern verdichtet das Gewebe. Der Internist entnahm eine Probe und diese wurde im Labor untersucht.

Zwischenzeitlich hatte ich einen Termin mit dem Professor, der die Brust-OP vorgenommen hatte. Er sollte sich unter anderem zu dem auffälligen Lymphknoten in der Achselhöhle äußern. Ich erzählte ihm auch von dem Verdacht, dass Metastasen des Brustkrebs im Darm sein könnten. Er hielt das für möglich und meinte auch, dass der auffällige Lymphknoten in der Achsel durchaus Krebszellen beinhalten könnte. Aufgrund der Größe der Brusttumore und der Anzahl der befallenen Lymphknoten, die im Zuge der OP entfernt wurden, ist davon auszugehen, dass noch einige weitere befallene Lymphknoten verblieben sind. Er plädierte für eine Verstärkung meiner Therapie gegen den Brustkrebs. Der Antikörper Trastuzumab allein scheint nicht mehr auszureichen. Außerdem wollte er abklären, ob der Brustkrebs eventuell ins Hirn gestreut haben könnte.

Am nächsten Tag hatte ich daher dann einen Termin zum CT des Kopfes. Auf das Ergebnis musste ich aufgrund des Pfingstwochenendes bis zum Dienstag warten. Zum Glück war „altersgemäß“ alles unauffällig. Soll wohl heißen, dass ich bereits etwas verkalkt bin… Aber ich war sehr erleichtert, dass hier keine neue Baustelle entstanden ist.

Dann kam endlich das endgültige Ergebnis der Darmspiegelung. Darmkrebs konnte komplett ausgeschlossen werden. Es sind tatsächlich Metastasen der Brust. Mein Internist meinte zu mir, dass diese grundsätzlich nicht gefährlich sind, einen Darmverschluss z.B. befürchtet er nicht. Man könnte diese Stellen auch operieren, es wäre aber nicht notwendig. Er meinte jedoch auch, dass unbedingt meine Brustkrebstherapie verstärkt werden müsse.

Die Sache ist die, wenn es dem Brustkrebs gelungen ist, in den Knochen, in der anderen Brust und im Darm Fuß zu fassen, dann ist das Risiko hoch, dass er sich in Kürze auch in lebenswichtigen Organen niederlässt. Dem muss natürlich sofort ein Riegel vorgeschoben werden.

Jetzt geht es also um die geeignete Therapie. Möglichst großer Effekt bei möglichst geringen Nebenwirkungen, das wäre optimal. Anscheinend ist das sogar möglich. Heute habe ich mit meiner Onkologin besprochen, dass wir eine Therapie namens Trastuzumab Emtansin, auch bekannt unter TDM1 oder dem Markennamen Kadcyla beginnen wollen. Hierbei handelt es sich um meinen bisherigen Antikörper Trastuzumab, der fest an das Zellgift Emtansin gebunden ist. Da Trastzumab die Brustkrebszellen aufgrund eines bestimmten Rezeptors (HER2-Rezeptor) auf der Zelle erkennt, dockt er dort gezielt an und leitet das Zellgift quasi im Huckepack in die Krebszelle. Es gelangt also nicht in die gesunden Zellen. Trastuzumab selber verhindert die Zellteilung und macht die Krebszelle für das Immunsystem sichtbar, welches sie dann angreifen kann. Emtansin zerstört die Zelle von innen heraus. Die Kombination ist also um einiges wirkungsvoller, als Trastuzumab allein. Aber: Es ist trotzdem eine Art der Chemotherapie und hat Nebenwirkungen. Zwar werden die Kollateralschäden an anderen schnell wachsenden Zellen vermindert, die bei einer klassischen Chemo auftreten, aber das Gift ist im Körper und muss irgendwie wieder raus. Es kann also doch zu Nebenwirkungen kommen, die sehr vielfältig sein können. Außerdem wird Kadcyla wie bei einer klassischen Chemo als Infusion verabreicht, d.h. über den Port.

Nächsten Mittwoch geht es los. Die Infusion dauert ca. eine Stunde und danach muss ich noch für 30 Minuten zur Beobachtung in der Praxis bleiben. Vorweg bekomme ich ein Mittel gegen Übelkeit. Übelkeit ist zwar eine sehr seltene Nebenwirkung, aber sicher ist sicher. Die weiteren Nebenwirkungen muss ich abwarten. Ich hoffe, sie werden nicht so schlimm. Mein größter Wunsch ist es, einen Zustand zu erreichen, mit dem ich dauerhaft gut leben kann. Die Therapie soll nämlich eine Dauertherapie werden. Alle drei Wochen gibt es eine weitere Dosis. Ob das Medikament gut wirkt, werden wir längerfristig im CT sehen. Hier ergeben sich dann hoffentlich keine neuen Baustellen mehr und alles bleibt stabil. Außerdem werden vor jeder Dosis meine aktuellen Tumormarker abgenommen, so haben wir dann auch kurzfristig einen Vergleich. Die Tumormarker sollten nämlich sinken. Aber da bin ich immer ein wenig skeptisch, Tumormarker allein sind nämlich kein besonders verlässliches Kriterium.

Eigentlich wollte ich zu diesem Zeitpunkt meiner Heilung einen großen Schritt näher sein, die Chemo hinter mir lassen. Nun läuft es wieder auf eine Dauermedikation hinaus, diesmal gegen den Brustkrebs gerichtet. Doch unmöglich ist die Heilung nach wie vor nicht – egal was die Ärzte sagen. Wenn ich mit der Dauermedikation gut klar komme, kann mir das einen Vorsprung von vielen Jahren verschaffen, in denen die Medizin voranschreitet. Der Professor meinte zu mir, dass gerade für meinen Brustkrebstyp diverse neue Therapien in der Testphase und in der Zulassung sind. Es wird auch stets neue Studien dazu geben. Ich soll mich regelmäßig bei ihm melden, damit ich vielleicht einmal in eine passende Studie aufgenommen werden kann. Das würde ich allerdings nur machen, wenn das zu testende Medikament deutlich vielversprechender ist, als Kadcyla. Denn nach dem Prinzip: „Never change a running system“ sollte man nicht ohne Not ein wirksames Medikament aufgeben. Das Wichtigste ist aber, dass der Darmkrebs besiegt ist und hoffentlich nie wieder zurück kommt. Damit habe ich schon viel gewonnen. Immerhin kann meine Therapie nun viel gezielter stattfinden.

Jetzt wo feststeht, wie es für mich weitergehen wird, bin ich deutlich ruhiger. Ich sehe dem relativ gelassen entgegen und kümmere mich wieder um andere Themen. Zur Zeit ist es der anstehende Außenanstrich für mein Holzhaus. Die Wetterseite im Westen sieht schon ziemlich mitgenommen aus, da muss was passieren. Hochsommer ist eine gute Zeit, weil dann die Holzpaneele am weitesten ausgedehnt sind. Das habe ich beim letzten Anstrich von rot auf blau nämlich nicht beachtet und ihn im November machen lassen. Im Sommer habe ich dadurch ein blau-rot gestreiftes Haus und mache der Villa Kunterbunt alle Ehre. Das wird jetzt ein Ende haben. Der Sommer ist da, ich bin wieder fit und stehe in den Startlöchern. Den Anstrich werde ich diesmal zusammen mit meinem Freund selber ausführen. Ich streiche unten und er oben. Er klettert also auf dem Gerüst rum, davon halte ich mich besser fern. Im letzten April hatte ich beim Streichen meines Flurs ein unschönes Erlebnis mit einer Leiter, als ich noch schnell mit dem Pinsel die Ecke der Wand erreichen wollte. Ein wenig Akrobatik muss doch drin sein, dachte ich. Doch die Leiter hatte dazu eine andere Meinung. Meine linke Schulter weint heute noch und das wurde durch die OPs nicht gerade besser. Die Physiotherapie wird es langfristig richten. Aber so lange sollte ich auf wackelige Leitern verzichten.

Das schwierigste Problem ist die Farbauswahl. Bisher war das Haus stahlblau. Das ist ein dunkler Blauton, aber noch nicht dunkel genug für meinen Geschmack. Also habe ich mir zum Vergleich Farbproben besorgt im bisherigen stahlblau, in graublau, graphitgrau und schwarzblau. Damit habe ich einige Bretter auf der verdeckten Seite meines Hauses angestrichen und mir den Effekt zusammen mit dem weißen Fenster angesehen. Besser gesagt, ich gucke mir den Effekt stündlich an. Direkt nach dem Aufstehen renne ich im Schlafanzug raus und sehe mir als erstes die Farben an. Das Graphitgrau ist zwar hübsch, aber eben grau und ich will eigentlich kein graues Haus, das ist langweilig. Das Graublau ist ganz nett und unaufdringlich, aber irgendwie auch zu trist. Das Stahlblau wirkt frischer, aber es ist mir nach wie vor nicht dunkel genug, es ist mir zu blau. Das Schwarzblau sah schon in der Dose vielversprechend aus und aufgetragen finde ich es im Kontrast zu den weißen Fenstern umwerfend. Aber es ist auch sehr gewagt, denn es ist wirklich sehr dunkel. Doch man erkennt trotzdem, dass es blau ist und nicht schwarz. Meine Stiefschwester hat es heute als mitternachtsblau bezeichnet und damit trifft sie den Punkt. Es ist ein wunderschönes mitternachtsblau. Das hört sich doch auch viel romantischer an, als schwarzblau. Ich weiß nicht, wer sich die RAL Farbnamen ausgedacht hat, aber derjenige hatte wenig Phantasie. Nun habe ich meinen Mut zusammengenommen und mich für dieses mitternachtsblau entschieden. Eine Bauchentscheidung.

So ein Anstrich hält acht bis zehn Jahre. Wenn das Haus also irgendwann erneut gestrichen werden muss, kann ich mir eine neue Farbe aussuchen. Und ich habe mir fest vorgenommen, das Haus noch viele Male zu streichen.

Veröffentlicht von bluemchenfee

Im Oktober 2011 erhielt ich die Diagnose metastasierter Darmkrebs. Zu diesem Zeitpunkt war ich 38 Jahre alt und hatte zwei kleine Kinder im Alter von 3 und 6 Jahren. 2016 kam die Diagnose metastasierter Brustkrebs hinzu. Ich lebe in einer Kleinstadt im Hamburger Umland, bin mittlerweile geschieden, aber glücklich neu vergeben und alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern. Mein Alltagschaos zwischen Patchwork, Hundeerziehung und Krebserkrankung wird seit einem guten Jahr durch mein kleines Unternehmen Blümchenfeedesign abgerundet. Eigentlich aus der Not heraus entstanden, habe ich mir damit den Traum einer Selbständigkeit im kreativen Bereich erfüllt. Meine Produkte findet Ihr unter bluemchenfeedesign.etsy.com oder auf Instagram unter bluemchenfeedesign. In diesem Blog schreibe ich über meine vielfältigen Erfahrungen mit der Erkrankung, der Heilung und den Herausforderungen, aber auch über die lustigen und schönen Seiten des Alltags und die Chancen, die sich selbst in so einer Situation bieten. Damit möchte ich anderen Betroffenen, Angehörigen und Interessierten Mut machen. Es gibt immer einen Weg und am Ende wird alles gut!

Ein Kommentar zu “Mitternachtsblau

  1. Das Haus wirst du weiter alle paar Jahre streichen! Und ich würde gern die neuen Farben mit beobachten. Allerdings liebe ich ja sie momentane Farbe…. 🙂 Freue mich auf einen schönen Abend mit dir am Samstag, meine Heldin!

    Like

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

%d Bloggern gefällt das: